Ja, aber...

Klimaneutral leben heißt, dass unsere Bevölkerung die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht. Also ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken. Einfach gesagt: Nicht mehr ausstoßen, als aufgenommen werden kann. Es geht außerdem darum, dass wir unsere bisherigen Gewohnheiten überdenken und aktiv versuchen, unsere CO2-Emissionen zu verringern. Wichtig dabei ist, WIE klimaschädliche Gase vermieden werden. Nur zu kompensieren bringt uns auf lange Sicht nicht weiter. Wir müssen vor Ort Maßnahmen ergreifen! Klimaneutralität erfordert Handlung!

Vielleicht ist das unsere Wahrnehmung. Und vielleicht sind wir auf dem richtigen Weg. Die unbequeme Wahrheit ist aber, dass keines der Klimaprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien, geschweige denn, die unserer Gemeinden zu einer Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens ausreichend ist. Unser Wohnraum vergrößert sich stetig, der Verkehr wächst unaufhaltsam. Dafür beispielsweise Kunststoffverpackungen zu reduzieren, ab und an das Auto stehen zu lassen oder Blumen zu pflanzen ist zwar vorbildlich, reicht jedoch lange nicht aus um umweltfreundlich oder gar klimaneutral zu leben. Klimaschädliche Taten werden nicht durch umweltfreundliche Taten aufgehoben.

Das stimmt leider. Sogar Deutschland als Gesamtes ist nur für 2% des gesamten emittierten CO2 verantwortlich. Aber wir können uns nicht wegducken und aus der Verantwortung ziehen. Beim Vergleich des Pro-Kopf-Ausstoßes haben wir zum Beispiel noch viel Nachholbedarf. Ein*e durchschnittliche*r Deutsche*r verursacht 7,9 Tonnen CO2 pro Jahr, der Schnitt weltweit liegt bei gerade einmal 4,8 Tonnen und auch Länder wie China (7,1 Tonnen) und Indien (1,69 Tonnen) stehen deutlich besser da. Gerade als Hochtechnologieland haben wir hier viele Möglichkeiten. Und auch andere führende Industrienationen sind nicht untätig. Also anpacken und nicht nur mit dem Zeigefinger auf China zeigen!

Viele Maßnahmen werden vom Bund und Land gefördert. Unsere knappen Gemeindekassen müssen also nicht alles alleine stemmen. In Weinstadt im Rems-Murr Kreis werden beispielsweise 50% des Klimaschutzaktionsplans vom Bund gefördert. Mit konsequenten Klimaschutzmaßnahmen entwickeln wir auch zukunftsfähige Industrien in Deutschland. Wir können durch ein klimaneutrales Konzept und erneuerbare Energien die Standortattraktivität für Unternehmen fördern. Nebenbei werden wir außerdem eine noch lebenswertere Gemeinde. Beim Klimaschutz gilt außerdem, wer jetzt nicht investiert, bezahlt an Klimaschäden deutlich mehr. Und dies geht dann auch zulasten unseren nachkommenden Generationen.

Die Antwort auf die Frage, ob man klimaneutral leben kann, lautet eindeutig: Ja. Natürlich können wir unseren CO2-Ausstoß nicht gänzlich verhindern. Sehr wohl können wir diesen aber bewusst kleinhalten, damit dieser z.B. von Wäldern kompensiert wird. Um klimaneutral leben zu können, müsste unser Pro-Kopf-Ausstoßes auf unter eine Tonne pro Jahr und pro Kopf reduziert werden (aktuell 7,9 Tonnen). Entscheidend ist dabei wie wir wohnen, wie wir uns ernähren, wie wir uns fortbewegen und wie wir einkaufen. Klimaneutralität ist also sehr wohl realistisch.

Warm- und Eiszeiten gab es tatsächlich schon immer und sind nichts Außergewöhnliches. Doch die heutige Veränderung unterscheidet sich von früheren klimatischen Veränderungen in zwei Punkten: Erstens dauerte eine klimatische Veränderung von 1 Grad ca. 1000 Jahre, während es diesmal nur 100 Jahre dauerte. Dieser Wandel führt zu deutlich dramatischeren Einflüssen auf Pflanzen, Landschaften und Tiere (und auch Menschen). Zweitens kamen Veränderungen beim Klima in der Vergangenheit vor allem durch veränderte Sonneneinstrahlung zustande, wobei diesmal Treibhausgase für die Erwärmung verantwortlich sind. Verantwortlich für diese Gase ist der Mensch. Dies ist hinlänglich bewiesen und es gibt hierüber keinen Dissens in der wissenschaftlichen Fachwelt. Der Klimawandel ist menschengemacht.

Leider zeichnet sich der Klimawandel nicht nur durch wärmere Temperaturen aus. Deutschland war bisher zwar vergleichsweise wenig von Klimawandel betroffen, doch auch wir bemerken zunehmend die Folgen der Erderwärmung, z.B. die Dürresommer 2018 und 2019 oder die Flutkatastrophe im Sommer 2021. In vielen Regionen – ganz besonders in tropischen und subtropischen Gebieten – treten jedoch krasse Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren, schon heute vermehrt auf. Die wirtschaftlichen Schäden, die durch solche Extremwetterereignisse verursacht werden, sind bereits sehr groß. Manche Wirtschaftszweige in manchen Regionen werden jedoch auch vom Klimawandel profitieren. Teile Sibiriens werden beispielsweise bei Erwärmung landwirtschaftlich fruchtbarer werden. Jedoch sind die absehbaren wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels für fast alle Staaten in der Summe eindeutig negativ.

Insgesamt kommt eine, im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) durchgeführte Studie (2019) zu dem Schluss, dass konsequenter Klimaschutz der deutschen Wirtschaft durch neue Märkte und Investitionen insgesamt eher nutzen als schaden wird. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer „fossilen Blase“, wenn die Wirtschaft nicht rechtzeitig auf neue, klimaneutrale Infrastruktur und Technologie umgestellt wird. Schon heute ist die Stromerzeugung mit Photovoltaik-Anlagen in vielen Teilen der Welt günstiger als alle anderen Technologien. Autohersteller, die zu lange auf Verbrennungsmotoren setzen, könnten durch Mitbewerber, die bereits früher in die Entwicklung von E-Autos investieren, vom Markt verdrängt werden. In absehbar überholte fossile Technologien zu investieren ist also ein größeres Risiko für unsere Wirtschaft.

Viele anderen Themen sind zweifellos sehr wichtig und mögen vor allem auf kurze Sicht dringlicher erscheinen. Jedoch hängt der Klimawandel mit vielen dieser Themen zusammen und verstärkt Probleme wie Armut und Krieg dramatisch.

Nicht jeder Mensch kann sich den täglichen Einkauf im Unverpackt-Laden leisten oder in eine PV-Anlage investieren. Doch nachhaltig handeln und einkaufen bedeutet ja nicht nur, Geld auszugeben. Im Gegenteil: Wer nachhaltig lebt, kann in vielen Bereichen sogar Geld sparen: Dinge wie Rasenmäher oder Ski leihen statt kaufen, Leitungswasser trinken statt Wasser in Flaschen zu kaufen, Lebensmittel saisonal kaufen und nichts wegwerfen, selber kochen statt überteuerte Fertiggerichte zu kaufen, Second-Hand-Mode kaufen, so oft es geht Fahrradfahren statt mit dem Auto. Du siehst, Beispiele gibt es viele! Was fällt dir noch ein?

Dem Öffentlichen Personennahverkehr kommt tatsächlich eine Schlüsselrolle zu. Die Nutzung von Bussen und Bahnen anstelle von Pkw und Lkw spart bundesweit zirka 15 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem, was eine Stadt wie Hamburg mit ihren Haushalten, dem Verkehr und der Industrie im Jahr emittiert. Nur durch eine gut ausgebaute Infrastruktur kann der Individualverkehr und die dabei erzeugten Emissionen eingeschränkt werden.

Das fordern wir auch nicht. Eine Veränderung unseres heutigen Lebensstiles ist allerdings notwendig. Dafür gewinnen wir an Lebensqualität und Gesundheit und ermöglichen eine lebenswerte Zukunft. Und ja, dazu gehört auch ein bewusster Fleischkonsum, weniger Flugreisen und ein Umstieg auf umweltfreundliche Energien. Gerade letztere ermöglichen auch neue Freiheiten für uns als Gesellschaft und weniger internationale Abhängigkeit. Klimaschutz bedeutet Unabhängigkeit.

Die Frage ist, was versteht man unter Freiheit? Und wessen Freiheit ist gemeint? Autoverbotszonen in Innenstädten schränken einerseits die Freiheit für Autofahrer:innen ein, andererseits schaffen sie Freiräume für Fußgänger, Radfahrer und Geschäfte. Tempolimits schränken die Freiheit ein, schnell zu fahren. Für andere Menschen ist es jedoch eine Einschränkung der Freiheit, wenn durch schnelles Fahren höhere Risiken für deren Gesundheit in Kauf genommen werden oder Anwohner:innen der Lärmbelastung ausgesetzt sind. Fazit: Klimaschutz kann Freiheiten einschränken, aber auch eröffnen!

»Unser Verhalten in der Klimakrise ist wie, wenn man nachts wach wird mit voller Blase. Du weißt genau, was man tun müsste. Du weißt, es wird von alleine nicht besser, nur schlimmer. Aber du denkst, wenn du dich weiter schlafend stellst, fällt dein Körper drauf rein. Doof. Aber menschlich.« Eckart von Hirschhausen

Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun!